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Die Gesamtschullehrer Helmut Frenzl und Steffen Seibert besuchten PISA-Siegerschulen in Finnland
Battenberg (da). Finnland gilt seit seinen ersten Plätzen bei der internationalen Bildungsvergleichsstudie PISA-Studie als Vorzeigeland in Sachen Bildung. Der Leiter der Battenberger Gesamtschule, Helmut Frenzl, und Lehrer Steffen Seibert haben zwei Schulen in dem skandinavischen Land besucht – und festgestellt: Die Unterschiede liegen vor allem in der Gesellschaft und in der besseren Ausstattung der Schulen.
Schüler, die seelenruhig auf die Essensausgabe warten, keine Kaugummis auf dem Fußboden, keine Müllberge rund um Fast-Food-Restaurants – in Deutschland wohl unvorstellbar, in Finnland der Alltag. Ende Februar haben Frenzl und Seibert mit einigen anderen Lehrern die Reise unternommen. Die Gruppe hatte den kurzen „Bildungsurlaub“ während einer Tagung über E-Portfolios gewonnen (FZ berichtete). Sie besuchten die deutsche Schule in Helsinki und die finnische Schule in Sotunki.
Ihr Eindruck: Finnland gibt deutlich mehr Geld für Bildung aus, und die Schulen dort können freier darüber verfügen. Helmut Frenzl gerät ins Schwärmen, als er von der deutschen Schule erzählt: Sie wird von 535 Schülern besucht, ist also etwa halb so groß wie die Battenberger Schule. Angestellt sind 25 finnische Lehrer, 15 deutsche Lehrer, zusätzlich 15 deutschsprachige Lehrer aus Finnland, zwei Sonderpädagogen, ein Schulpsychologe, ein Sozialarbeiter, eine Gesundheitsfürsorgerin, neun Erzieherinnen für die Nachmittagsbetreuung, fünf Verwaltungsangestellte, fünf Zivildienstleistende, zwei Hausmeister und zwei EDV-Betreuer.
Finnland zahlt 5000 Euro jährlich pro Schüler – unabhängig, welche Schule er besucht. Die Eltern müssen an die deutsche Schule in Helsinki 673 Euro pro Jahr zahlen. Deutschland finanziert die 15 deutschen Lehrer. 63 Prozent der 535 Schüler sind Finnen, 19 Prozent Deutsch-Finnen, zehn Prozent Deutsche, acht Prozent kommen aus anderen Ländern.
Die Schule erhält ein Budget und verwaltet komplett eigenverantwortlich, wer eingestellt oder was gekauft wird. Für Lehr- und Lernmittel zahlen Schüler bis zur neunten Klasse nichts. Sie bekommen alles gestellt, „jeden Buntstift“. Die Lehrer staunten über die Medien- und Computerausstattung. „Der Umgang mit neuen Medien ist selbstverständlich“, sagte Frenzl.
Über Klassenstärken gibt es keine Vorschriften. Selten gebe es aber mehr als 20 Schüler, berichtet Steffen Seibert. Und die Anzahl der Stunden sei auch geringer: 24 Wochenstunden für die Fünft- bis Siebenklässler, 30 Stunden für die höheren Jahrgänge. Insgesamt machte vor allem die deutsche Schule einen modernen Eindruck. Vertretungspläne sind im Internet abrufbar, in jedem Stockwerk gibt es Informationsbildschirme. Im schmalen Treppenhaus hingen Ölgemälde, in den Fluren standen Holzmöbel – in Deutschland wegen Brandschutzauflagen undenkbar. „Es gab keine Verschmutzung, keine Zerstörungen.“ Die Schule sei „Lebensraum der Schüler“.
Und die Klassen mit modernen und wertvollen Geräten werden nicht abgeschlossen. In allen Räumen stehen Dokumentenkamera, Beamer, ein Laptop, eine Projektionswand, ein Videorecorder, ein DVD-Spieler und weitere Geräte. Computer sind sogar in den Fluren frei zugänglich. „Das sind dann schon andere Möglichkeiten als bei uns“, sagt Steffen Seibert.
Der Unterricht hat die deutschen Lehrer allerdings deutlich weniger beeindruckt. „Es ist für uns nicht erkennbar geworden, worin das Geheimnis liegt“, sagt Helmut Frenzl. Die Schüler beteiligten sich nur sehr passiv am Unterricht, eigenständiges Arbeit werde – so der Eindruck der deutschen Besucher – nicht gefördert. Das Niveau sei scheinbar nicht höher als in Deutschland. Die Battenberger Lehrer überrascht vor diesem Hintergrund das erfolgreiche Abschneiden finnischer Schüler. Hängt das positive PISA-Abschneiden also mit der gesellschaftlichen Struktur zusammen? „Bildung genießt einen hohen Stellenwert in Finnland“, sagt Helmut Frenzl. Und die Schulstruktur sei seit Jahrzehnten unverändert – anders als in Deutschland, wo die Strukturen auch von den wechselnden politischen Mehrheiten abhängen.
Finnische Lehrer seien hoch qualifiziert und motiviert, hätten eine positive Haltung gegenüber Schülern und würden hohe Anerkennung genießen. „Es gibt weniger Nörgler, weniger Frustrierte, weniger Burn-out“, fasst es der Battenberger Schulleiter zusammen. Ein Zusammenhang zwischen PISA und der Unterrichtsqualität ist für ihn hingegen „schwer erkennbar“.
Deutlich besser sei die Sprachkompetenz, auch Kinder würden schon sehr gut Englisch sprechen. Das hänge unter anderem damit zusammen, dass viele Sendungen im Fernsehen in der Originalsprache mit Untertiteln gezeigt werden. Dadurch könnten die Schüler auch besser lesen.
Frenzl hat ebenso die Förderung schwacher Schüler beeindruckt. Werden Probleme erkennbar, kümmert sich eine sogenannte „Kuratorin“ um den Jugendlichen und forscht nach Ursachen. „Der Lehrplan wird dem Kind angepasst und nicht wie in Deutschland das Kind dem Lehrplan.“ Das habe dazu geführt, „dass es in den vergangenen 15 Jahren kein Kind gab, das nicht versetzt wurde“.
Die beiden Gesamtschullehrer haben den Eindruck, dass vor allem die Gesellschaft zu den Erfolgen führt. „In der ganzen Schule herrschte eine gewisse Ruhe, die ich so noch nicht kannte“, sagt Steffen Seibert.
Helmut Frenzl will den Schulelternbeirat und die Schüler über die Ergebnisse der Bildungsreise informieren. Als Konsequenz aus den Erfahrungen plant er den Ausbau der individuellen Förderung, pädagogische Tage zum Thema und eine Stärkung des „positiven Schulklimas“.
Mittelfristig hofft der Schulleiter auf eine Verbesserung der Infrastruktur. Denn nach seinen Erfahrungen würden mehr Schüler die Gesamtschule besuchen, wenn es denn eine Bus­anbindung gebe. Selbst aus dem Frankenberger Land gebe es Anfragen. Grund sei, dass die Gesamtschule – im Gegensatz zu den Gymnasien – nicht auf die verkürzte Gymnasialzeit G8 gegangen ist, die Schüler also weiterhin sechs Jahre lang Unter- und Mittelstufe besuchen. In Finnland würden Schüler teilweise bis zu 90 Kilometer gefahren, damit sie zum Beispiel die Schule in Sotunki besuchen können.
Schulleiter Frenzl wünscht sich außerdem mehr Eigenverantwortung der Schule bei der Gestaltung des Lehrplans und der Verwaltung des Budgets.

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